Die Sache Makropulos.
Oper von Leoš Janáček.
Mainfranken Theater Würzburg 2021/2022
Musikalische Leitung Enrico Calesso
Inszenierung Nina Russi
Ausstattung Julia Katharina Berndt
Dramaturgie Berthold Warnecke
Emilia Marty Ilia Papandreou
Albert Gregor James Kee
Vitek Mathew Habib
Christa Akiho Tsujii
Jaroslaw Prus Kosma Ranuer
Janek Joshua Whitener
Dr. Kolenaty Michael Tews
Kammerzofe/Aufräumefrau Barbara Schöller
Hauk-Schendorf Yong Bae Shin
Theatermaschinist Taiyu Uchiyama
Philharmonisches Orchester Würzburg
Statisterie Mainfranken Theater Würzburg
Premiere 30. Januar 2022
Wiederaufnahme 22/23 am 24. Juni 2023
Wiederaufnhame 23/24 am 28. Oktober 2023
Fotos © Nik Schölzel
Video-Gesamtaufnahme auf Anfrage verfügbar
Informationen Mainfranken Theater Würzburg
Die Produktion wurde 2022 und 2023 im Jahrbuch der "Opernwelt" nominiert!
Pressestimmen
Vom Fluch ewigen Lebens
Durch die lebendige Personenregie von Nina Russi erschließt sich die Diskrepanz zwischen dem verletzlichen Innenleben der Protagonistin, ihrer nach außen gezeigten Härte, ihrer abweisenden Haltung und dem Unverständnis ihrer Umgebung; diese nimmt mit eigenen Interessen an ihrem Leidens- und Lebensweg teil […].
Dank der Regie pendelt die Opernhandlung schlüssig zwischen vordergründiger Science-Fiction und real menschlicher Problematik mit dem Schwerpunkt auf existenzielle Fragestellungen, hintergründig und irgendwie doch mit leichter Hand unterhaltend. Ein Plus ist hierbei die geschickte Zeichnung der Figuren. […]
Das Publikum […] feiert die ungewöhnliche, zum Nachdenken anregende und auch musikalisch gelungene und höchst anspruchsvolle Inszenierung lang, mit vielen Bravo-Rufen als Plädoyer für ein erfülltes Leben.
O-Ton - Kulturmagazin, Renate Freyeisen
Wie eine Oper uns mit unserer Sterblichkeit versöhnt
Nina Russi (Regie) und Julia Katharina Berndt (Bühne und Kostüme) haben die Verhältnisse auf den Kopf gestellt: Der Freak ist nicht die 336 Jahre alte Diva, sondern es sind alle, die sie umschwirren.
Main Post, Mathias Wiedemann
Im unbehausten Gehäuse: Janáčeks Oper «Die Sache Makropulos», bewegend ernüchtert am Mainfranken Theater Würzburg
[Eine solche Geschichte] als «ewige Wiederkehr des Gleichen» oder aber als kafkaeskes Prozesskarussell [zu inszenieren…] böte sich an, auch als Klischee. Nina Russi (Regie) und Julia Katharina Berndt (Bühne) weichen dem aus, indem sie auf ein aktuelleres Pendant setzen: ein verschiebbares Ensemble industrieller (Wohn)Container, nach vorne offen, als unbehaustes Gehäuse für vielerart Ortlose. Die Akten-Türme sind zu metallenen Rechtecken mutiert, durch Vorhänge zu Bühnen-Kästen. Als Bild ausweglos mechanischen Einerleis ist dies triftig, wird zudem entsprechend auf Commedia-Stereotypen übertragen, bis hin zur Comic-Karikatur, ja Zombie-Assoziation, dem Endlosprozess nicht einmal inadäquat. […] Insgesamt vermittelt die Aufführung klanglich und szenisch unerwartete Perspektiven auf ein anspruchsvoll-rätselhaftes Werk.
Opernwelt, Gerhard R. Koch
«Keiner überlebt das Leben.»
Dieses Zitat aus dem Stück «Gier» der gefeierten, jung verstorbenen britischen Gegenwartsdramatikerin Sarah Kane bringt auch eine zentrale Aussage von Leoš Janáčeks «Die Sache Makropulos» auf den Punkt. Die Endlichkeit des Lebens zu überwinden oder es mindestens verlängern zu wollen, ist eine uralte Ambition der Menschheit. Doch bisher bleibt die Feststellung wahr, dass niemand das Leben überlebt. Auch wenn das Leben der Protagonistin Elina Makropulos bereits 337 Jahre dauert und sie schliesslich das Rezept des lebensverlängernden Elixiers tatsächlich bekommt, werden wir Zeugen ihres Sterbens. Sobald sie das wertvolle Schriftstück in den Händen hält, dessen Suche sie am Leben erhielt, bringt sie die Aussicht auf weitere 300 Erdenjahre um.
Noch vor kurzer Zeit hätten wir den Aktualitätsbezug der «Sache Makropulos» wohl im Aspekt der etappenweisen Überwindung von Krankheit und Alterung sowie in der ständigen Erweiterung des Machbaren durch die Medizin gesehen. Nun sind wir aber alle aufgrund der Pandemie urplötzlich wieder mit sinkender Lebenserwartung und steigender Sterblichkeit konfrontiert, mit der Fragilität des Lebens und den Grenzen der Medizin. Angesichts der täglich in den Medien erfolgenden Summierung von Krankheits- und Todeszahlen stellt sich uns unmittelbar die Frage nach dem Umgang mit Krankheit, nach der Akzeptanz des Todes. Schon wird prophezeit, die Pandemie bremse den Fortschrittsglauben der Gesellschaft. Sie hat uns eiskalt erwischt, diese Pandemie, und umso irrwitziger wird die Aktualität des Stücks, umso mehr wird uns Elina Makropulos’ Erfahrung zum Denken anregen (oder stutzig machen): In ihrem grossen Schlussmonolog philosophiert sie über den Sinn des Lebens und äussert den Gedanken, die Unabwendbarkeit des Endes sei geradezu die sinnstiftende Erfüllung des Lebens. Dadurch werde jede Minute wertvoll.
Als Regisseurin reizt mich die kammerspielartige Anlage der «Sache Makropulos», die es erlaubt, die skurrilen und in eigenen Welten und Sorgen gefangenen Figuren psychologisch differenziert herauszuarbeiten. Die meisten beschäftigen nämlich prosaischere Fragen als die Endlichkeit des Seins: Im Umfeld des endlosen Erbschaftsstreits, der Ausgangspunkt des Stücks ist, geht es um Geld, Ruhm, Macht, Liebe. Temporeich wird in diesem Konversationsstück vorgetäuscht und gelogen, manipuliert und gestritten. Und trotz der dialogischen Anlage scheint streckenweise jede und jeder in einem Monolog festgefahren zu sein. Die verstrickten Familienverhältnisse und nicht zuletzt die verwirrende, faszinierende und wandelbare Hauptfigur selbst tragen das Ihre zur psychologisch höchst komplexen und lustvollen Figurenkonstellation bei. Eine detaillierte und feinsinnige Personenregie ist hier nicht nur Anspruch der Regisseurin, sondern eine Notwendigkeit für die Orientierung von Sängerensemble und Publikum.
Erst im finalen Showdown, in der Auflösung der Sache Makropulos, vereinen und versöhnen sich alle Beteiligten im Schrecken vor den Auswirkungen des krassen Experiments am lebenden Menschen, das Hieronymus Makropulos im Auftrag des Habsburger Kaisers Rudolf II. an seiner damals 16-jährigen Tochter verübt hatte. Elina ist ein Opfer des wahnwitzigen Ehrgeizes Rudolfs, der die Schöpfung herausfordern wollte; ein Missbrauch, der innere und äussere Narben zurückliess. Für die Zwischenkriegszeit als Epoche der Uraufführung des Stücks ist dies eine grausame Vorahnung tatsächlicher Verbrechen, die folgen sollten.
Ein Spannungsfeld im Leben der Protagonistin wurde zum wichtigen Ausgangspunkt unserer Konzeption wie auch räumlichen Umsetzung der Oper: Als berühmte Sängerin und Person des öffentlichen Lebens, als nicht alternde Kreatur, die sich immer neue Identitäten zulegen muss, kontrastiert bei Elina Makropulos die Aussenwirkung, die Fassade stark mit ihrem fragilen Innenleben. So hat ihre Welt eine kalte, harte, zynische, abweisende Oberfläche, während sie im Intimen verletzt ist, Wärme und Nähe sucht, Sensibilität und Sanftmut besitzt. Diese Gegensätze wollen wir im Bühnenbild und Lichtkonzept sicht- und erfahrbar machen. Wir situieren das Stück in einer eigenen, zeitlosen Welt, welche die experimentellen, kafkaesken und visionären Aspekte des Werks unterstreichen und gleichzeitig Interpretationsspielraum lassen soll: Ist es eine Science-Fiction-Story ganz eigener Prägung, ein explosives Gedankenexperiment mit Sogwirkung, die abgründige Lebensgeschichte einer Frau?
Statement der Regisseurin Nina Russi im Programmheft