Bajazet (Il Tamerlano).
Opern-Pasticcio von Antonio Vivaldi.
Staatstheater Nürnberg 2021/2022

Musikalische Leitung Wolfgang Katschner
Inszenierung Nina Russi
Bühne Mathis Neidhardt
Kostüme Annemarie Bulla
Dramaturgie Wiebke Hetmanek

Bajazet Florian Götz
Tamerlano David DQ Lee
Asteria Almerija Delic
Andronico Nian Wang
Irene Julia Grüter
Idaspe Maria Ladurner

Staatsphilharmonie Nürnberg
Statisterie am Staatstheater Nürnberg

Premiere
23. Oktober 2021

Fotos
© Bettina Stöss
Video-Mitschnitt
auf Anfrage verfügbar
Informationen
Staatstheater Nürnberg

Aktivistin in Gefangenschaft.
Statement der Regisseurin Nina Russi.

Maria Kolesnikowa sitzt in Weissrussland in Haft – mit zwei Mitstreiterinnen hatte sie gewagt, als Opposition gegen Machthaber Lukaschenko anzutreten. Nasrin Sotoudeh ist im Iran zu 38 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt worden – sie hatte sich als Menschenrechtsanwältin für Frauenrechte und gegen die Todesstrafe eingesetzt. Die Aktivistinnen von Pussy Riot wurden wegen ihrer Performances für Frauenrechte, sexuelle Minderheiten und gegen die Allianz von Kirche und Staat in Russland wiederholt ins Gefängnis gesteckt. Die Mitglieder des feministischen Kollektivs FEMEN wurden für ihre Oben-ohne-Aktionen gegen Sextourismus, Menschenhandel und das totalitäre System in der Ukraine verfolgt, geschlagen, eingekerkert und mussten ins Ausland fliehen. Ihre Schicksale, Schriften und Statements – sowie diejenigen weiterer politischer Aktivistinnen in Gefangenschaft rund um den Globus – haben meine Lesart von Vivaldis «Bajazet (Il Tamerlano)» geprägt.

Nur vordergründig geht es in diesem 1735 in Venedig uraufgeführten Opern-Pasticcio um den Konflikt zwischen dem osmanischen Sultan Bajazet und dem Tataren-Herrscher Tamerlan. Kristallisationspunkt und Projektionsfläche aller (männlichen) Sehnsüchte, Rachegelüste, Intrigen – aber auch eigentlicher Antrieb der Handlung – ist Bajazets Tochter Asteria. Mit ihren Aktionen, Ausbrüchen und ihrer Auflehnung gegen den Machthaber Tamerlan beherrscht, belebt und beseelt sie das Stück. Sie wird gefangen gehalten, gefesselt und gefoltert, soll Tamerlan als Sexobjekt dienen. All diesen Demütigungen trotzt sie mit Zorn, Radikalität, Drohungen und einem Giftanschlag. Als Gegenspielerin Tamerlans kämpft sie an gegen den Totalitarismus, Autoritarismus, Machismus und Sexismus für welche der brutale patriarchale Herrscher steht.

Wir befinden uns in der Schaltzentrale Tamerlans, eine hermetisch abgeschlossene Welt, die Gefängnis, Repräsentationspalast und private Gemächer des Herrschers vereint. Hier wird Asteria als Widerständlerin vom Regime gefangen gehalten und isoliert. Wir erleben ein labyrinthisches System aus fluiden Räumen, die sich ständig verändern und mit ihrer Einförmigkeit und Leere die Insassen verwirren. Man fühlt sich in dieser rautenartigen Grundstruktur – die optisch den Hashtag der sozialen Medien aufnimmt – ständig überwacht. In dieser irritierenden, intensiven und doch auch intimen Atmosphäre entfaltet sich das Kammerspiel mit den sechs Protagonisten, die mit ihren exzentrischen Charakteren und extremen Gefühlslagen hier einander ganz ausgesetzt sind.

So ist diese Oper für mich ein eigentlicher Politthriller, der uns auch in der heutigen Zeit viel zu sagen hat und unserer Gesellschaft einen Spiegel vorhalten kann. Asteria ist als zentrale Figur Sinnbild für all die Frauen, die sich heute weltweit als Einzelpersonen, Aktivistinnen, Friedenskämpferinnen, Frauenrechtlerinnen – manche radikaler, mit Weltöffentlichkeit, andere im Verborgenen – gegen Unterdrückung, Machtmissbrauch und staatliche Gewalt engagieren. Die Oper wird so zur Hymne auf Solidarität, Demokratie und freie Meinungsäusserung – Theaterkunst, die motiviert, nie aufzugeben.

(Auszug aus dem Programmheft)

Pressestimmen

«Eine spannende Inszenierung von Nina Russi.»
Süddeutsche Zeitung, Michael Stallknecht

«Diese Frauen recken die Faust. Vivaldis Bajazet erntet in einer behutsam feministischen Nürnberger Inszenierung stürmischen Beifall.»
Nürnberger Nachrichten, Wolf Ebersberger

«Vivaldis Pasticcio Bajazet (Il Tamerlano) – historisch informiert, im Heute spielend und gelungen.»
Opern News, Klaus Kalchschmid